Heidegger

Heidegger II - Ein Meister aus Deutschland

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Wenn hier von der nationalsozialistischen Episode Heideggers und ihrer Verbindung zu seinem Denken die Rede ist, sollte das nicht als Anschuldigung, sondern als Fragestellung verstanden werden. Es ist wichtig, dieser Frage nachzugehen. Sie sollte in jeder Auseinandersetzung mit Heidegger (gerade wenn sein Denken für uns eine Rolle spielt) anklingen, um mögliche Irrwege zumindest zu reflektieren. Zu leicht werden Gedankeninhalte als Rechtfertigung verstanden.

Heidegger war von 1933 bis 1934 Rektor der Freiburger Uni. Am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei. In der Folge hielt er propagandistische Reden für den Nationalsozialismus und unterstützte 1933 Hitlers Wahlkampf im Rahmen einer Wahlkundgebung der deutschen Wissenschaft, bei der er am Podium saß. Er hat sich für die Einführung des Führerprinzips an der Universität stark gemacht. Besonders eindrücklich wird die feierliche Amtseinführung des neuen Freiburger Rektors beschrieben: „Viele der (…) Mitglieder des Großen Senats (…) waren erschrocken über das weitgehend von Heidegger selbst inszenierte Schauspiel. Sie mussten aufrecht stehend das Deutschlandlied singen und das Horst-Wessel-Lied (…). Zur vierten Strophe hatten sie die rechte Hand zum ‚sieg-Heil‘ zu heben. Im Auditorium befanden sich zahlreiche Parteifunktionäre, die meisten in Uniform.“[1]Heidegger blieb Mitglied der NSDAP bis zum Ende des 3. Reiches.

Die Frage, ob Heideggers Parteinahme für den Nationalsozialismus in seinem Denken begründet ist, entzündete nach Kriegsende die bis heute andauernde „Heidegger-Kontroverse“. Hier soll nicht versucht werden, diese Frage für uns zu beantworten.

Heideggers langjährige Freundin Hannah Arendt stellte fest, dass „die Neigung zum Tyrannischen (…) sich theoretisch bei fast allen großen Denkern nachweisen“ lässt[2]. Nach dem Rückzug aus dem Rektorat soll Wolfgang Schadewaldt mit der Anspielung begrüßt haben: „Nun, Herr Heidegger, sind Sie aus Syrakus zurück?“[3] Die Anspielung bezieht sich auf Platons Einsatz für Dionysios II. in Sizilien, dessen tyrannischer Herrschaft viele Menschen zum Opfer gefallen sind.

Was aber sagt Heidegger selbst? Nicht viel. Vor allem hat er nicht explizit dem Nationalsozialismus abgeschworen. Interessant sind in dieser Hinsicht aber seine Bremer Vorträge von 1949 unter dem Titel: „Einblick in das was ist“[4]. Es handelt sich um vier Vorträge, in denen er der Frage der Technik nachgeht. Den zweiten Vortrag mit dem Titel „Das Gestell“ betitelt er bei einem neuerlichen Vortrag in München mit „Die Frage nach der Technik“[5]. In diesen Vorträgen beschreibt Heidegger das Wesen der Technik als Gestell. Anwesend ist nicht mehr der zu bestellende Acker oder der Mensch mit seinem Leid und seiner Freude, sondern einzig die Herausforderung in einen Bestand (von Nahrungsmitteln,…). Dieses Merkmal ist über alle Industrien, mathematischttp://photos1.meetupstatic.com/photos/event/d/3/8/7/event_36834151.jpegh gesprochen, translationsinvariant, d.h. in allen verschiedenen Gebieten sich selber gleich. „Ackerbau ist jetzt motorisiert Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.“[6] Interessanterweise erscheint das Thema der Massenvernichtung in den Vorträgen von 1953 nicht mehr im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Dort heißt es: „Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie. Die Luft wird auf die Abgabe von Stickstoff hin gestellt, der Boden auf Erze, das Erz z.B. auf Uran, dieses auf Atomenergie, die zur Zerstörung oder friedlichen Nutzung entbunden werden kann.“[7]


Heidegger Argumentiert den Nationalsozialismus hier nicht weiter (durchbricht also nicht sein fundamentales Schweigen). Man könnte aber weiterdenken und sagen: die Technik im Wesen des Gestells verbirgt das Anwesende. Später nennt Heidegger das die Seinsvergessenheit und nennt dieselbe nicht nur eine Gefahr unter anderen, sondern die Gefahr schlechthin. „Waltet jedoch das Geschick in der Weise des Ge-stells, dann ist es die höchste Gefahr.“[8] Die Art, wie Rudolf Höß[9] die Funktion der Gaskammern beschreibt wirft auf dieses Thema ein grelles Licht. Die Art der Beschreibung gleicht in ihrer Nüchternheit der technischen Beschreibung jeder anderen technischen Einrichtung. Es wird auch die Zeit gemessen und optimiert, während der noch die Stimmen oder das Atmen der sterbenden zu hören ist. Ich vermute, dass Heidegger genau diesen Wesenszug der Technik meint, wenn er von Gestell und Seinsvergessenheit spricht. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Heidegger in den genannten Vorträgen ein (oder das?) Wesensmerkmal, bzw. eine (oder die?) Grundbedingung des Nationalsozialismus analysiert und als die größte Gefahr darstellt.

Heidegger soll hier weder rehabilitiert werden, noch verurteilt. Aus den dargestellten Texten wird für mich eine fundamentale Betrachtung des Nationalsozialismus deutlich. Vielleicht hat Heidegger keine Möglichkeit gesehen mit schönen und entschuldigenden Worten einfach weiterzumachen – unter neuen politischen Vorzeichen, wie das generell üblich war? Vielleicht waren ihm diese oberflächlichen Worte zu dünn um mit diesen Fragen ins Reine zu kommen? Vielleicht waren seine Vortragsthemen nach dem Ende des Nationalsozialismus seine Antwort (das ist auf jeden Fall die Position, die hier dargestellt wurde).

Wir können uns fragen: Ist diese Grundbedingung (der Seinsvergessenheit) nach wie vor präsent und ein neuer Nationalsozialismus daher jederzeit (in einem neuem Kleid) wieder möglich? Ist es berechtigt so zu tun, als hätte das alles nichts mit der Gegenwart zu tun, als wäre es nur die Ideologie (der Gedankeninhalt) und nicht die Art und Weise des Denkens, die in die große Katastrophe führte? Worin unterscheidet sich unsere Art- und Weise zu denken? Vielleicht hat sich auch ereignet, was Heidegger als Kehre beschreibt. Mit den Worten Hölderlins: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Haben wir unseren Sinn für das jeweils Anwesende in den letzten 60 Jahren entwickeln können? Die Geschichte wird es wohl zeigen…



[1] Geier M. (2005): Martin Heidegger, Hamburg: Rowohlt Verlag GmbH, Seite 87

[2] Arendt, H. (2008): Denken ohne Geländer. München: Piper, Seite 69

[3] Geier M. (2005): Martin Heidegger, Hamburg: Rowohlt Verlag GmbH, Seite 99

[4] Heidegger M. (2005): Bremer und Freiburger Vorträge, Gesamtausgabe, Band 79. Frankfurt/Main: Vittorio Klostermann.

[5] Heidegger M. (2004): Vorträge und Aufsätze. Stuttgart: Klett-Kotta

[6] Heidegger M. (2005): S. 27

[7] Heidegger M. (2004): S. 18f

[8] Heidegger M. (2004): S. 30

[9] Höss war von 1940 bis 1943 Lagerkommandant in Auschwitz und wurde 1947 hingerichtet. Nach dem Krieg bis zu seiner Hinrichtung machte er autobiographische Aufzeichnungen.